Wir hatten die Gelegenheit Dr. Masayori Ishikawa, Leitender Medizinphysiker am Hokkaido University Hospital und Professor an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Hokkaido University, zu einem Gespräch zu treffen. Dr. Ishikawa ist seit 2015 als Novalis Certified Auditor tätig. Der Experte im Bereich Strahlentherapie Dr. Ishikawa erläutert Grundlagen, Entwicklungen und Zukunftsperspektiven der stereotaktischen Behandlungen und berichtet von seinen Erfahrungen mit dem Novalis-Zertifizierungsprogramm.
Die Grundlagen—SRS, SBRT und Strahlentherapie
Beyond the Lab: Was unterscheidet stereotaktische Radiochirurgie (SRS) von der extra-kraniellen stereotaktischen Bestrahlung (SBRT)? Und wie fügt sich die klassische Strahlentherapie in dieses Bild ein?
Dr. Ishikawa: SRS zielt primär auf Gehirntumore ab, vor allem auf kleine Tumore einer Größe von unter einem Zentimeter. Der Begriff „stereotaktisch“ bedeutet “präzise Positionskontrolle”. Bei der SRS achten wir darauf, gesundes Hirngewebe so weit wie möglich zu schonen und die Bestrahlung hochpräzise, mit einer Abweichung von höchstens einem Millimeter oder weniger, durchzuführen. Früher wurde dafür ein Metallrahmen mit Schrauben am Schädel befestigt und an der Behandlungsliege fixiert. Denn eine möglichst hohe Präzision zu gewährleisten ist ausschlaggebend: sowohl bei der Dosierung als auch bei der Positionierung der Patient:innen.
SBRT wird hingegen auch zur Behandlung von Lungen- und Lebertumoren sowie in den letzten Jahren vermehrt bei Wirbelkörpertumoren eingesetzt. Der entscheidende Unterschied zur SRS besteht darin, dass sich die Organe im Körperinneren bewegen. Da sich Hirntumore innerhalb des Schädels nicht bewegen können, lässt sich die Position durch eine Fixierung des Schädels exakt sichern. Bei SBRT ist es hingegen grundsätzlich nicht möglich, innere Organe zu fixieren. Daher besteht die Notwendigkeit, entweder die Organbewegung zu begrenzen oder die Bestrahlung präzise an die Bewegung anzupassen.
In der konventionellen Strahlentherapie werden über ein bis zwei Monate mehr als 20 Einzelbestrahlungen („Fraktionen“) durchgeführt. Bei dieser Technik nehmen die Nebenwirkungen ab, wenn eine höher fraktionierte Bestrahlung durchgeführt wird, da sich gesundes Gewebe bei niedrigeren Dosen besser erholen kann. Im Vergleich dazu kann durch den Einsatz der hochpräzisen Bestrahlungstechnologien von SRS und SBRT der Schaden am normalen Gewebe grundsätzlich reduziert werden. In der Regel erfolgt die Behandlung innerhalb einer Woche mit einer bis vier Bestrahlungseinheiten bei höheren Dosen. Da eine hochdosierte Bestrahlung Tumorzellen zuverlässig zerstören kann, sind die Behandlungsergebnisse im Vergleich zur konventionellen Strahlentherapie deutlich verbessert.
Wie verbreitet sind SRS, SBRT und konventionelle Strahlentherapie? Gelten sie als Standardbehandlung bei soliden Tumoren?
Radiotherapie ist in vielen Ländern die Standard-Behandlung bei nicht operablen Tumoren oder bei Patient:innen, die nicht operiert werden können. Sie ist weniger belastend als eine Operation oder Chemotherapie – besonders für ältere Patient:innen oft die bessere Option.
Da SRS eine fortschrittliche Technologie erfordert, wird es nicht in allen Einrichtungen eingesetzt. In den letzten Jahren haben fortschrittliche Behandlungsgeräte und die Verbreitung der bildgeführten Strahlentherapie (IGRT) die Lagerungsgenauigkeit der Patient:innen deutlich verbessert, sodass mittlerweile viele Einrichtungen in der Lage sind, SRS anzubieten.
SBRT erfordert spezielle Geräte, um die Bewegung des Tumors einzuschränken oder zu verfolgen, weshalb diese Methode bisher in weniger Einrichtungen praktiziert wird als SRS. Mit der zunehmenden Verfügbarkeit, der für SBRT benötigten Technik, wird die Anzahl der Einrichtungen, die solche Geräte im Zuge von Geräteaustausch oder -erneuerung einführen, jedoch steigen. Besonders große Krankenhäuser werden solche Upgrades leichter umsetzen können.
Inzwischen ist Radiotherapie vielfach die erste Wahl und hat sich als Standardbehandlung für viele Tumorarten etabliert. So ist die Strahlentherapie beispielsweise die Standardbehandlung bei Nasopharynxkarzinom und Oropharynxkarzinom. SRS/SRT wird bei Hirnmetastasen und gutartigen Tumoren wie dem Vestibularisschwannom angewendet. Ein nicht-kleinzelliges Lungenkarzinom ist ein typischer Fall für SBRT. Darüber hinaus wird durch die Kombination der Behandlung mit anderen Optionen, wie der Chemo-Strahlentherapie und der postoperativen Strahlentherapie, erwartet, dass der therapeutische Effekt verstärkt und das Rückfallrisiko verringert werden kann. Die brusterhaltende Therapie ist ein typisches Beispiel für postoperative Strahlentherapie.
Was macht ein medizinischer Physiker während der Therapie?
Medizinphysiker in der Strahlentherapie übernehmen vielfältige Aufgaben. Dazu gehören die Wartung und Handhabung der Behandlungsgeräte und Planungssysteme, die Durchführung der patientenspezifischen Qualitätssicherung (QA) bei hochpräzisen Therapien wie IMRT, VMAT, SRS/SRT/SBRT sowie die Instandhaltung der Messgeräte, die für die patientenspezifische QA verwendet werden.
Zudem erstellen sie Planungskonzepte für IMRT/VMAT, je nach Einrichtung. Bei der Wartung und Bedienung der Geräte werden Überprüfungen je nach Wichtigkeit in unterschiedlichen Intervallen durchgeführt – täglich, wöchentlich, monatlich, halbjährlich und jährlich.
Auch wenn es nicht häufig vorkommt, führen Medizinphysiker die Abnahme und Inbetriebnahme neu installierter Behandlungsgeräte durch. Im Behandlungsalltag überprüfen sie wöchentlich den Status der laufenden Therapien, tauschen sich in Konferenzen aus und beantworten Anfragen von Ärzt:innen und Techniker:innen.
„Die Einführung neuer Technologien kann zu präziseren Behandlungen führen – aber um die Leistungsfähigkeit dieser Geräte voll auszuschöpfen, müssen auch Anwender:innen besser geschult werden.“
Die Entwicklung: Heute Präzision—in Zukunft Echtzeit-Tumorverfolgung
Gibt es weltweit anerkannte Standards für SRS und SBRT? Wenn ja, welche sind das?
Die Standards in der Krebsbehandlung im Allgemeinen, nicht nur in der Strahlentherapie, unterscheiden sich von Land zu Land. Unterschiede im Körperbau, bedingt durch ethnische Merkmale, sowie Unterschiede im Lebensstil spielen hierbei eine große Rolle. Dennoch fließen die Ergebnisse multizentrischer klinischer Studien (wie RTOG, EORTC, TROG, JCOG etc.), die weltweit durchgeführt werden, häufig in die Leitlinien der jeweiligen Länder ein.
In Japan werden beispielsweise häufig die NCCN Clinical Practice Guidelines in Oncology (NCCN Guidelines) zur Erstellung nationaler Leitlinien herangezogen. Beispielsweise ist SRS als Ersttherapie bei metastasierten Hirntumoren definiert, während SBRT als Standardbehandlung für Patient:innen mit inoperablem Lungenkrebs im Frühstadium oder für diejenigen gilt, die auf eine Operation verzichten möchten.
Bei der Strahlentherapie ist eine hohe Präzision entscheidend, um gesundes Gewebe zu schonen. Was kann ein Strahlentherapie-Team Ihrer Erfahrung nach tun, um die Genauigkeit während der Behandlung zu verbessern?
Zahlreiche Studien haben sich mit der Frage beschäftigt, wie sich eine hochpräzise Strahlentherapie bestmöglich umsetzen lässt. Um gesundes, nicht tumorbefallenes Gewebe zu schonen, sind vor allem eine exakte Positionierung der Patient:innen sowie eine präzise Dosierung entscheidend. Zur Verbesserung der Positionsgenauigkeit gehören unter anderem eine zuverlässige Patientenfixierung und der Einsatz bildgestützter Verfahren.
Grundsätzlich ist es wichtig, sich mit dem neuesten Stand der Technik vertraut zu machen, den Zweck der verwendeten Geräte genau zu verstehen und über die Anwendungsmethoden auf dem Laufenden zu bleiben. Wenn eine Einrichtung mit modernster Technik ausgestattet ist, lässt sich die Behandlungsqualität durch konsequente Wartung und sorgfältiges Gerätemanagement sichern. Für eine präzise Dosisverabreichung spielen auch softwareseitige Aspekte eine wichtige Rolle, etwa die Genauigkeit der Strahlenmodellierung im Bestrahlungsplanungssystem und die Qualitätssicherung der Behandlungseinrichtungen. Insbesondere Mediziniphysiker:innen sind für die Inbetriebnahme der Planungssysteme sowie für deren erneute Validierung nach Software-Updates verantwortlich.
Ich halte es für essenziell, dass Strahlentherapie-Teams sich kontinuierlich über aktuelle Entwicklungen in der Fachwelt informieren, etwa durch wissenschaftliche Publikationen oder die Teilnahme an Fachkongressen. Indem man Erkenntnisse aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet – Ärzt:innen, Physiker:innen, MTRAs, Pflegekräften und Dosimetrist:innen (in Japan übernehmen Medizinphysiker:innen oft mehrere dieser Rollen gleichzeitig) – lässt sich die Präzision der Behandlung auf vielfältige Weise weiter verbessern.
Sie haben jahrelang zu Themen wie Strahlentherapie und Echtzeit-Tumorverfolgung geforscht. Was genau versteht man unter „Real-Time Tumor Tracking“ (RTRT), und wie könnte diese Technologie die Behandlung solider Tumoren in Zukunft verändern?
ch leite die Entwicklung eines neuartigen RTRT-Systems der nächsten Generation, das als gated irradiation system (gesteuerte Bestrahlung) klassifiziert ist, habe Erfahrung in der Medizingeräteentwicklung sowie mit der Zulassung durch Arzneimittelbehörden. Das derzeitige RTRT-System erfordert die Implantation von Fiducial-Markern in der Nähe des Tumors, um eine präzise Verfolgung zu ermöglichen. Der aktuelle Trend geht jedoch in Richtung markerloses Tracking, mithilfe von Röntgenfluoroskopie in Kombination mit bildverarbeitenden Technologien wie Künstlicher Intelligenz (KI).
Bei gated irradiation erfolgt die Bestrahlung nur dann, wenn sich der sich bewegende Tumor innerhalb eines vordefinierten Zielbereichs befindet. Anfangs gab es Bedenken, dass sich dadurch die Bestrahlungszeit verlängert. In den letzten Jahren wurde dieses Problem jedoch durch die Möglichkeit hochdosierter Bestrahlung mit sogenannten flattening filter free (FFF)-Strahlen gelöst. Darüber hinaus arbeitet die in den letzten Jahren viel beachtete FLASH-Strahlentherapie mit extrem hohen Dosisraten von 40 Gy pro Sekunde oder mehr, was eine noch genauere Erkennung der Tumorposition ermöglichen wird.
Der Überblick—Standardisierung und Zertifizierung mit Novalis
Welche Rolle übernehmen Sie im Novalis Certified Program? Und warum haben Sie sich entschieden, sich in dieser Community zu engagieren?
Meine Rolle im Novalis Certified Program ist die des Auditors. Im Rahmen des Programms fordern wir von den medizinischen Einrichtungen ein sogenanntes Self-Study Pre-Audit-Dokument an, mit dem überprüft wird, inwieweit die Einrichtung die für die Zertifizierung geforderten Standards erfüllt. Letztendlich wollen wir die Gesamtqualität verbessern, indem wir die Verbesserung von Punkten fördern, die nicht den Standards entsprechen, insbesondere Dokumenten, die uneindeutig formuliert sind. Die Aufgabe des Auditors besteht nicht nur darin, Dokumente und Einrichtungen zu überprüfen, sondern auch darin, beratend bei der Erstellung dieser Unterlagen zur Seite zu stehen.
Als ich angefragt wurde, die Rolle des Auditors zu übernehmen, gab es ein solches Zertifizierungsprogramm in Japan noch nicht, daher war mein Interesse groß. Die Arbeit als Auditor ist herausfordernd, aber ich habe bei den Vor-Ort-Audits auch viel gelernt. Besonders eindrücklich war mein erster Audit, bei dem Dr. Timothy Solberg anwesend war. Er zeigte mir, worauf bei einer Überprüfung besonders zu achten ist. Diese Erfahrungen ermöglichen es mir heute, Einrichtungen, die das Novalis Certified Program durchlaufen, gezielt zu unterstützen.
Warum sollte eine medizinische Einrichtung eine Teilnahme am Novalis Certified Program in Erwägung ziehen?
Ein Vorteil des Novalis Certified Program ist, dass medizinische Einrichtungen lernen, wie sie eine konsistent hohe Qualität bei der Durchführung von SRS-, SRT- und SBRT-Verfahren sicherstellen können.
Das Programm zielt jedoch nicht nur darauf ab, die technischen Anforderungen von SRS/SRT/SBRT zu beherrschen. Es geht auch um die Schulung des gesamten Personals, einschließlich der Ärztinnen und Ärzte, sowie um ein umfassendes Sicherheitsmanagement in der gesamten Krankenhausorganisation, auch außerhalb der Strahlentherapieabteilung. Dies sind wichtige Aspekte, die im klinischen Alltag häufig übersehen werden können.
Aus Sicht des Krankenhausmanagements trägt das Novalis Certified Programm dazu bei, die Kompetenzen des Behandlungsteams gezielt zu stärken und gleichzeitig Patient:innen eine qualitativ hochwertige und präzise Strahlentherapie zu bieten. Letztlich gibt das sowohl den Patient:innen als auch deren Umfeld die Gewissheit, dass die Einrichtung eine Versorgung auf höchstem Niveau gewährleisten kann.
Als Experte auf dem Gebiet der Strahlentherapie, wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung der Branche in den nächsten fünf bis zehn Jahren?
In den vergangenen Jahren haben immer mehr Einrichtungen neue Technologien eingeführt, darunter Protonentherapiegeräte oder Linearbeschleuniger mit integriertem MRT. Die Strahlentherapie entwickelt sich mit dem wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt kontinuierlich weiter. Es ist daher gut möglich, dass in naher Zukunft weitere, noch innovativere Therapiegeräte auf den Markt kommen. So befinden sich bereits Linearbeschleuniger mit integriertem PET-Scanner oder partikelbasierte Therapiesysteme mit MRT in der Entwicklung und könnten in den nächsten zehn Jahren für den klinischen Einsatz bereit sein. Diese hochmodernen Systeme sind allerdings sehr kostenintensiv und werden voraussichtlich nur in wenigen spezialisierten Einrichtungen installiert. Es ist wahrscheinlich, dass viele Einrichtungen noch für längere Zeit konventionelle Strahlentherapiegeräte nutzen werden.
Gleichzeitig entwickelt sich auch die Software in rasantem Tempo weiter. Besonders Künstliche Intelligenz (KI) hat enorme Fortschritte gemacht und ist mittlerweile in der Lage, Aufgaben in der Bildverarbeitung auf einem Niveau auszuführen, das für Menschen nicht erreichbar ist. Die Strahlentherapie hat sich weiterentwickelt – von der zuverlässigen Dosisabgabe an Tumore und der Einbeziehung von Setup- und Sicherheitsmargen, hin zu einem Konzept, das normales Gewebe durch Bewegungskontrolle und Anpassung an Körperform und Patientenlagerung schützt. Darüber hinaus wird intensiv an der adaptiven Strahlentherapie geforscht, einer Methode, bei der Behandlungspläne dynamisch an Veränderungen des Körpers angepasst werden, um die Dosis noch stärker auf den Tumor zu konzentrieren. KI eignet sich hervorragend für diesen adaptiven Ansatz, da der Plan innerhalb kürzester Zeit angepasst werden kann. Beispielsweise kann durch tägliche CBCT-Scans in wenigen Minuten ein optimaler, tagesaktueller Therapieplan für die individuelle Patientenlagerung erstellt werden.
Neue Technologien können zwar zu präziseren Behandlungen führen, doch um das volle Potenzial dieser Geräte auszuschöpfen, muss auch die Qualifikation des Fachpersonals entsprechend weiterentwickelt werden. Wie erwähnt, bietet das Novalis Certified Program nicht nur ein Qualitätsmanagement für Technik und Geräte, sondern ein umfassendes Qualitätsverbesserungsprogramm, das die gesamte Einrichtung einbezieht.
Die Aussage der medizinischen Fachkraft stellt ihre persönliche Meinung und Erfahrung dar. Diese Aussage wird möglicherweise nicht durch wissenschaftliche Evidenz oder peer-reviewte Forschung gestützt. Für verifizierte Informationen über das Produkt konsultieren Sie bitte die offizielle Dokumentation oder einschlägige klinische Leitlinien.