Es ist ein sonniger Frühlingsmorgen in Schwäbisch Hall, einer 40.000-Einwohner-Stadt im Süden Deutschlands, gelegen zwischen Stuttgart und Nürnberg. Prof. Huber-Wagner ist Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie, Wirbelsäulenchirurgie und Alterstraumatologie am Diak Klinikum, dem Krankenhaus des Landkreises Schwäbisch Hall. Gemeinsam mit dem leitenden Oberarzt Thorsten Möhlig und seinem Team operiert er heute einen etwa 70-jährigen Patienten. Eine Metastase hat den ersten Brustwirbel des Mannes fast vollständig zerstört. Ziel der Operation ist es, die Wirbelsäule zu stabilisieren. „Wenn wir nichts machen, droht ein Kollaps der Wirbelsäule – mit der Gefahr einer Querschnittlähmung“, erklärt Huber-Wagner.
Den Eingriff hat er bereits am Vortag am Computer vorgeplant. Das ist ihm wichtig: die Anatomie des Patienten mit all ihren individuellen Besonderheiten schon im Kopf zu haben, wenn er am Morgen aufsteht. „Dann sind Sie ganz anders vorbereitet, wenn sie am OP-Tisch stehen.“ Insgesamt neun Schrauben möchte er setzen, in die gesunden Wirbelkörper oberhalb und unterhalb des Tumors – und sie dann mit einem Titanstab verbinden, um den gesamten Bereich zu stabilisieren. Außerdem soll eine Gewebeprobe des Tumors entnommen werden, um Erkenntnisse für die weitere Krebsbehandlung zu bekommen.
Für jede Schraube hat Huber-Wagner Eintrittspunkt, Winkel, Tiefe und Durchmesser festgelegt – auf Basis der Computertomographie-Bilder des Patienten, die einige Tage vorher aufgenommen wurden. Damit die Schrauben am Ende auch exakt dort sitzen, wo Huber-Wagner sie laut seiner Planung haben möchte, arbeitet er seit 2022 mit der Robotic Suite von Brainlab – ermöglicht durch eine private Spende der Gerhard und Ilse Schick Stiftung, die zukunftsweisende Projekte vor allem in der Region rund um Schwäbisch Hall fördert.
Das zukunftsweisende Projekt, das heute den OP von Stefan Huber-Wagner bereichert, besteht aus einem 3D-Bildgebungsroboter, einem Roboterarm und einem hochpräzisen Navigationssystem. Was sich anhört wie Google Maps, funktioniert auch ein bisschen so: Am Monitor kann das OP-Team genau verfolgen, ob die Schraube den vorher definierten Weg durch den Wirbelkörper nimmt.
Diese intraoperative 3D-CT Aufnahme hat gegenüber den sonst üblichen Röntgenaufnahmen den Vorteil, dass nicht nur deutlich größere Areale (wie etwa das gesamte Becken) aufgenommen werden können, sondern die hochaufgelösten Bilder auch genau an den jeweiligen Patienten angepasst werden können. „Gerade im Bereich der Halswirbelsäule verdecken beispielsweise die Schultern meist die Sicht auf die betroffenen Wirbelkörper – auf einem Röntgenbild sehen Sie da so gut wie nichts mehr“, erklärt Huber-Wagner. „Dank des Loop-X können wir im relevanten Bereich viel mehr Details darstellen – und haben gleichzeitig weniger Strahlenbelastung für den Patienten und natürlich auch für uns.“
Wie also wäre eine solche Operation verlaufen ohne die Unterstützung durch High-Tech-Navigation, modernste 3D-Bildgebung und Robotik? „Wir hätten den Eingriff dann anders geplant – und vor allem andere und kürzere Schrauben verwenden müssen“, erklärt Huber-Wagner. Kürzere Schrauben bedeutet: weniger tiefe Bohrungen und mehr Abstand zu den kritischen Bereichen – aber gleichzeitig auch weniger Stabilität. „Wenn die einzelne Schraube nicht so viel hält, muss man mehr Schrauben setzen und mehr gesunde Wirbelkörper in die Operation mit einbeziehen“.
Ob es denn gar nicht möglich wäre, diese ausrissfesteren sogenannten Pedikelschrauben ohne Navigation einzusetzen? „Natürlich kann man das mit sehr viel Erfahrung alles machen – aber ich selbst würde mich ohne Navigation so einem Eingriff an der Halswirbelsäule sicher nicht unterziehen“, sagt er. Kurz lacht er dabei, dann wird er ernst: „Wissen Sie: Sie haben als Chirurg keinen Kredit.“
„Auch wenn Sie einen Eingriff tausendmal erfolgreich hinbekommen haben – ein Fehler beim eintausendersten Mal wird trotzdem sofort bestraft, den können Sie nicht durch Ihre ‚Heldentaten‘ aus der Vergangenheit ausgleichen“.

Wohl deswegen war Huber-Wagner auch von Anfang an wichtig, mit der Brainlab Robotic Suite nicht nur ein schickes Tool im OP zu haben, das ihm und seinem Team die Arbeit erleichtert, sondern auch harte Fakten zu sammeln, ob diese Technologie wirklich mehr Sicherheit für die Patientinnen und Patienten bedeutet.
Von den etwa 1.200 Schrauben, die während dieser Operationen gesetzt wurden, lagen am Ende 98,8 Prozent an der exakt richtigen Stelle. Eine echte Fehllage – weswegen die Schraube in einer weiteren Operation neu hätte gesetzt werden müssen – war gar nicht darunter.
„Das ist schon verdammt gut“, sagt Huber-Wagner. Zum Vergleich: Bei der konventionellen Schraubensetzung, also ohne Navigation und ohne Roboter-Unterstützung, geht man weltweit von einer durchschnittlichen Quote von 15 Prozent Fehllagen aus. Bald, wenn die Marke von 2.000 gesetzten Schrauben erreicht ist, möchte er eine neue Auswertung starten. „Aber so wie ich das im Moment sehe, werden wir die Erkenntnisse aus der ersten Studie durchaus bestätigen können.“
Die Erfahrung, die Huber-Wagner und sein Team in all diesen Eingriffen gesammelt hat, macht ihn auch zu einem gefragten Gesprächspartner für Kolleginnen und Kollegen aus aller Welt. „Ungefähr alle zwei Wochen ist jemand da“, erzählt er. „Das ist ein guter und kollegialer Austausch – und ein bisschen was kann man sich schon abgucken von uns.“
Dabei drehen sich die Fragen weniger um Details der Technologie, sondern meist eher um ganz handfeste Dinge: Wie lagert man die Patientinnen und Patienten richtig, wo platziert man den Referenzstern am besten, wie geht man mit besonderen Anatomien um, etc.“
„Sie müssen so ein System nicht nur haben wollen, sie müssen auch damit arbeiten – und dann offen und neugierig bleiben. Nur dann können Sie das Potenzial am Ende auch voll ausnutzen.“

Am Diak Klinikum im Schwäbisch Hall will man mit der Robotic Suite arbeiten, das wird an diesem Tag klar. „Einer unserer dienstältesten OP-Pfleger war am Anfang etwas skeptisch, jetzt ist er fast schon enttäuscht, wenn wir hin und wieder einen Eingriff ohne Navigation machen“, erzählt Huber-Wagner und lacht. Nur gut, dass die 335. Operation mit Navigation schon für den nächsten Tag geplant ist.